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Magazine eröffnen dir die ganze welt. Du erlEbst andere Menschen und fremde Orte und sitzt dabei selbst auf der Couch

Manfred Görgens

Reportagen, PortrAiTS und Berichte für Magazine

Ich brenne für alles, was recherchiert und erzählt werden will, und liebe das Spiel mit Sparten und Formen, die ein Magazin prägen: Feature, Reportage, Porträt, Interview.

Beispiele

Diverse Publikationen in Magazinen (Auszug).

Reisebericht/Feature. Fotos und Text von Manfred Görgens, produziert für »Motor Maniacs – The Authentic Car Magazine«, Print- und Digitalausgabe (Deutschland, Österreich, Schweiz). Entwicklung von Story und Bildlook in enger Kooperation mit der Redaktion. 

Geliefertes Material (Fotos und Text):

Cadillac: Der Mann, der Wein, das Auto

Ende August hängen die Köpfe der Sonnenblumen schon durch. Maurice aus Fontainebleau lässt die Spätsommersonne ins Cabrio scheinen und atmet tief durch: „Noch mal gutgegangen!“ Im seifigen Mittagslicht, das ihn schläfrig gemacht hat, wäre ihm der Straßenköter fast unter die Räder geraten. Beim Ausweichmanöver mit schwerem Gerät, einem Cadillac Eldorado der fünften Generation, schmirgelt Maurice haarscharf an der Restaurantterrasse vorbei und kickt das Werbeschild in den Staub. „Formule rapide“ steht drauf, Schnellgericht. Das passt ja.

Wahrhaftig, auch Frankreich ist schneller geworden und längst nicht mehr die verpennte Nation der Nachkriegsjahre. Der verbeulte R4, der mit gelockerter Handbremse am Straßenrand steht und nicht abgeschlossen wird – man sucht ihn mittlerweile vergebens. Maurice verkörpert freilich noch das gemeißelte Bild jenes Franzosen, der mit lässig aus dem Fenster gelehnten Hängearm durch die Dörfer schleudert und allemal Grund findet, seine Spritztouren mit ein bis drei Pastis aufzupeppen. Nach gut 500 Kilometern über Autobahnen ist er nun mit seinem Cadillac glücklich gelandet – in Cadillac, der Kleinstadt bei Bordeaux. Zur Begrüßung pumpt er ein paar Mal das höhenverstellbare Lenkrad auf und ab, eine Geste, die kein Missverständnis zulässt: Maurice würde sich jetzt gerne als Erfrischung ein Mädel zur Brust nehmen. Nur leider kann er sich mit seinen 72 Jahren diesen Wunsch auch nicht mehr aus dem Stand heraus erfüllen. „Früher“, sagt er. Aber gut, das sagt jeder.

Was Kalle und Olaf auf ihren Brummi pinseln, könnte Maurice getrost auch auf sein Gerät schreiben: Meiner ist sieben Meter lang. Und zwei Meter breit. Diese imposante Luxuszigarre in Hellblau setzt der Bilderbuch-Franzose passgenau in die enge Parklücke vor der Markthalle. Chapeau, der Herr, grüßt eine Dame herüber, der dieses Kunststück nicht einmal mit ihrem kleinen Yaris gelungen ist. Ja, in Cadillac genießt die Männerwelt noch das ihr gebührende Ansehen.

Nicht gar so mannhaft erscheint das dezente Rosa des Cadillac „Fleetwood“ von 1958, in dem sich René vor dem Schloss der Herzöge von Épernon ablichten lässt. Nein, mit dem alten Gemäuer habe er rein gar nichts am Hut, er sei ja nur Bankangestellter, der sich sein Hobby ein paar Euro mehr kosten lasse. Klick, und schon ist das Erinnerungsfoto im Kasten. „Der Schuss kommt gut.“ Bei Licht betrachtet ist es nicht mehr als ein Schloss mit einem Auto davor. Bemerkenswert wird’s allerdings durch die Geschichte dahinter, für die man sich getrost ein Gläschen Bordeaux auf den Tisch stellen darf. Denn die Namensgleichheit von Auto und Ort ist nicht mal eben so in fünf Minuten erklärt.

„Balades en Cadillac“ heißt das Fest im August, bei dem der Spaß im und in Cadillac von total abgefahrenen Musikgruppen aufgebrezelt wird. Chauffeur und Beifahrer kleiden sich gerne nach der Mode jener Zeit, als ihre Karossen jung waren und es kaum jemanden kümmerte, wie viele Gallonen Sprit die 16 Zylinder schluckten. Dass Cadillac an der Garonne ausgerechnet auf dieses ausladende Fahrzeug steht, scheint erst einmal plausibel. Nomen est omen. Bergerac, Sadirac, Preignac, Vensac – die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ortsname auf „-ac“ endet, ist hier erdrückend groß. Keltisches Erbe, so heißt es. Doch wie ergibt sich die Schnittmenge zwischen Kelten und der Autostadt Detroit?

Wie alle märchenhaften Geschichten, so beginnt auch diese mit „es war einmal“. Es war einmal, genau: am 5. März 1658, da wurde auf einem Gut bei St-Nicolas-de-la-Grave der Bauernsohn Antoine Laumet geboren. Wo und womit er die ersten 25 Jahre seines Lebens rumkriegte, ist nicht überliefert. Im „Dictionary of Canadian Biography“ steht, er sei 1683 „als Immigrant rätselhafter Herkunft in Acadia gelandet“ und habe sich „in Port Royal niedergelassen“. Dass er als Soldat dem Sonnenkönig diente, wird gemunkelt, ist aber nicht belegt.

Zwecks Imagepflege war es üblich, dass sich Einwanderer aus Europa mit dem schmückten, was sich im fernen Amerika nicht überprüfen ließ. So behauptete Antoine bald von sich, er sei der „Sohn von Jean, Ratsherr im Parlament von Toulouse, und Jeanne de Malenfant“ und unterzeichnete seine Heiratsurkunde mit dem Namen „Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac“. Genehm ist, was gut klingt. Warum der Aufschneider ausgerechnet auf Cadillac verfiel, das immerhin 140 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt liegt, weiß kein Schwein.

Laumet-Cadillac wurde Landbesitzer am Union River, nahm von dort aus Handelsbeziehungen zu seinem alten Wohnsitz Port Royal auf, tauschte Alkohol gegen Pelze und wurde über den Sprit ein besonders guter Freund der Indianer. Als Port Royal 1690 an England fiel, hatte sich sein Engagement in Acadia erledigt. Cadillac zog wieder nach Quebec und setzte zu einer steilen Karriere im Militärdienst an. 1692 schrieb er seine Memoiren, ohne einen ausgeprägten Sinn für deren Wahrheitsgehalt zu entwickeln.

Da ihm bald die Jesuiten wegen des Schnapshandels auf den Fersen waren, entschloss er sich, eine eigene Siedlung zu gründen. Kaum hatte Frankreichs König die Erlaubnis dazu erteilt, brach Laumet im Juni 1701 mit 100 Männern von Montreal auf, um Fort Pontchartrain d’Étroit zu errichten und sich damit ein Ehrenmal zu setzen: Aus dem französischen „d’Étroit”, „an der Wasserstraße“ (zwischen Eriesee und Lake St. Clair), wurde das breite amerikanische „Detroit“. Am 24. Juli 1901 feierte die Stadt ihren 200. Geburtstag. 13 Monate später, am 22. August 1902, hob Henry Martin Leland eine Automobilgesellschaft aus der Taufe, die den Namen des Stadtgründers erhalten sollte: Cadillac.

Auch wenn es abenteuerliche Windungen sind, die das Auto mit dem Weinort verbinden, sieht Cadillac an der Garonne allen Grund, rund um den 22. August drei Tage lang Autogeburtstag zu feiern. Dann nehmen die wenigen stolzen Cadillac-Besitzer aus ganz Frankreich Kurs Richtung Südwesten, um die ganz große Sause durchzuziehen. Wein ist allemal im Spiel, nur meistens nicht Cadillacs Dessertwein, denn wer davon ein Fläschchen köpfen möchte, muss gut mal einen Fuffi auf den Tisch legen. Nein, die erlauchte Gesellschaft der Eldorado- und Fleetwood-Besitzer bleibt auf dem Teppich, dreht dezente Runden ums Dorf und genießt das Leben der einfachen Art.

Dazu gehört die gemeinsame deftige Mittagsmahlzeit unter dem Dach der Markthalle ebenso wie der Plausch in der Guinguette, der Weinstube am Flussufer. Es ist, als wären diese Szenen direkt aus den Gemälden der Impressionisten geschnitten. Aber das pralle Leben setzt noch eins drauf: Ob mittelalterliches Stadttor, Garonne-Brücke oder Renaissance-Schloss – sämtliche Architekturschätze der Stadt dienen als Kulisse nicht nur der Cadillacs, sondern auch der Musikgruppen, die eigens zur Feier des Automobils anreisen. Da beschwört „Bordelune“ mit Gitarre und Akkordeon die große Ära des französischen Chansons, rockt „God save the Cuivre“ auf Blasinstrumenten einen abgedrehten Tusch, hauchen die schrill gekleideten Damen von „Mademoiselle Orchestra“ einen Spritzer musikalischer Erotik in die staubigen Gassen, um dann wieder ihre Röcke zu raffen und Reißaus zu nehmen vor den fetten 16-Zylinder-Karrossen.

Eines ist klar: Auch Antoine Laumet-Cadillac hätte so ein Feuerwerk genossen. In seinem pragmatisch-ungestümen Wesen hatte er ein Siedlungsprojekt angeregt, das freie Liebe zwischen Franzosen und Indianern gestatten sollte. Mit so etwas musste er bei den Jesuiten auf die Schnauze fallen. 1710 nach Louisiana strafversetzt, landete Laumet am Ende seiner Amtszeit gar für ein halbes Jahr im Pariser Gefängnis. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er nicht weit von seinem Geburtsort als Bürgermeister von Castelsarrasin. Dort starb er am 16. Oktober 1730. In seinem Wohnhaus in Montreal tischt heute Mcdonald’s Hamburger auf. Das Elternhaus in St-Nicolas hingegen konnte mithilfe einer Spende aus Detroit in ein Museum verwandelt werden.

Cadillac, das Örtchen bei Bordeaux, besitzt außer der Limousinenfeier nichts, was das Andenken an Laumet wach halten würde. Nur wer gern im Trüben fischt, der findet sich abermals beim Château des Ducs d’Épernon, um zu grübeln. Antoine war von La Rochelle in die Neue Welt aufgebrochen, hatte dort vor der Abreise gewiss ein wenig Zeit verbracht und von der Geschichte der Hafenstadt erfahren. Vielleicht hörte er dort von Jean Louis de Nogaret de La Valette, dem Duc d’Épernon, der während der Revolutionskriege an der Belagerung von La Rochelle teilgenommen und als Gouverneur Heinrichs IV. jenes imposante Renaissance-Schloss in Cadillac erhalten hatte.

Genügt den Schatzsuchern der Automobilgeschichte eine solch dünne Spur? Sie werden keine andere Wahl haben, denn die Wahrheit zu seinem Faible für Cadillac nahm Cadillac mit ins Grab. Auch das Schloss, das unter der Sommersonne seine Vergangenheit auszuschwitzen scheint, hält keinen Schlüssel bereit. Ein paar Deckengemälde und Marmorkamine sind noch zu sehen, alles andere haben Plünderer während der Französischen Revolution verschleppt.

Erschienen in  »Motor Maniacs – The Authentic Car Magazine«, Print- und Digitalausgabe Deutschland, Mai 2010: